Obwohl die Edelkastanie ein vergleichsweise robuster und langlebiger Baum ist, kann sie von verschiedenen Krankheiten und Schädlingen befallen werden, die ihre Vitalität beeinträchtigen und den Ernteerfolg gefährden können. Einige dieser Probleme sind relativ harmlos und leicht zu bewältigen, während andere, wie der gefürchtete Kastanienrindenkrebs, eine ernsthafte Bedrohung für den gesamten Baumbestand darstellen. Eine frühzeitige Erkennung der Symptome, kombiniert mit präventiven Maßnahmen und gezielten Bekämpfungsstrategien, ist der Schlüssel, um den Baum gesund zu erhalten. Ein wachsames Auge und ein gutes Verständnis der potenziellen Gefahren sind für jeden Kastanienanbauer unerlässlich.
Die größte Bedrohung für Edelkastanien in Europa und Nordamerika ist der Kastanienrindenkrebs, der durch den Pilz Cryphonectria parasitica verursacht wird. Der Pilz dringt durch Wunden in der Rinde in den Baum ein und zerstört das Kambium, die lebenswichtige Wachstumsschicht. Dies führt zum Absterben der oberhalb der Infektionsstelle liegenden Äste und kann schließlich den gesamten Baum zum Absterben bringen. Symptome sind rötlich-orange Pusteln auf der Rinde und eingesunkene, krebsartige Wucherungen am Stamm oder an Ästen.
Eine weitere bedeutende Krankheit ist die Tintenkrankheit, verursacht durch Pilze der Gattung Phytophthora. Diese Erreger befallen die Wurzeln und den Stammgrund, meist begünstigt durch Staunässe und verdichtete Böden. Die Infektion führt zu Wurzelfäule und unterbricht die Wasser- und Nährstoffversorgung des Baumes. Erkennbar ist die Krankheit an welkenden, vergilbenden Blättern, dem Absterben von Ästen und einem charakteristischen, tintenähnlichen Saftaustritt am Stammgrund.
Neben diesen schwerwiegenden Krankheiten können auch verschiedene Blattkrankheiten auftreten. Der Kastanien-Blattbräunepilz (Mycosphaerella maculiformis) verursacht beispielsweise braune, oft von einem gelben Hof umgebene Flecken auf den Blättern, die im weiteren Verlauf zusammenfließen können. Bei starkem Befall kann dies zu einem vorzeitigen Blattfall führen, was den Baum schwächt. Generell gilt, dass ein gesunder und vitaler Baum an einem optimalen Standort weniger anfällig für Krankheiten ist als ein geschwächter Baum.
Präventive Maßnahmen sind die wirksamste Waffe im Kampf gegen Krankheiten. Dazu gehören die Wahl widerstandsfähiger Sorten, die Sicherstellung eines optimalen Standorts mit gut drainiertem Boden, die Vermeidung von Rindenverletzungen und die Stärkung der Baumvitalität durch eine ausgewogene Ernährung und Bewässerung. Herabgefallenes, krankes Laub sollte im Herbst sorgfältig entfernt und entsorgt werden, um das Infektionspotenzial für das nächste Jahr zu reduzieren.
Der Kastanienrindenkrebs
Der Kastanienrindenkrebs ist zweifellos die verheerendste Krankheit der Edelkastanie. Seit seiner Einschleppung aus Asien hat er die Bestände der Amerikanischen Kastanie nahezu ausgerottet und auch in Europa große Schäden verursacht. Die Infektion erfolgt über Sporen, die durch Wind, Regen oder Tiere verbreitet werden und über kleinste Verletzungen an der Rinde, wie sie durch Schnittmaßnahmen, Frost oder mechanische Beschädigungen entstehen, in den Baum eindringen.
Die ersten Anzeichen eines Befalls sind oft schwer zu erkennen. Meist bemerkt man zunächst, dass einzelne Äste in der Krone plötzlich welken und absterben, obwohl der Rest des Baumes noch gesund erscheint. Bei genauerer Untersuchung des betroffenen Astes oder Stammes findet man eingesunkene, geschwollene oder rissige Rindenpartien. Ein typisches Merkmal sind die kleinen, orangefarbenen bis rötlichen Fruchtkörper (Pusteln) des Pilzes, die aus der Rinde hervorbrechen.
Eine direkte chemische Bekämpfung des Kastanienrindenkrebses im Baum ist derzeit nicht möglich. Die wichtigste Strategie ist daher die Prävention. Bei der Sortenwahl sollte auf resistente oder tolerante Züchtungen, oft Kreuzungen mit asiatischen Kastanienarten (z.B. die Sorten ‚Marsol‘ oder ‚Bouche de Bétizac‘), zurückgegriffen werden. Schnittmaßnahmen sollten nur bei trockener Witterung durchgeführt und die Werkzeuge zwischen den Schnitten und insbesondere zwischen verschiedenen Bäumen sorgfältig desinfiziert werden. Größere Schnittwunden sind umgehend mit einem Wundverschlussmittel zu versorgen.
In einigen Regionen Europas hat sich eine natürliche Form der biologischen Kontrolle entwickelt. Es wurden Hypovulenz-Stämme des Pilzes entdeckt, die selbst mit einem Virus infiziert sind. Diese Stämme sind weniger aggressiv und können, wenn sie auf einen virulenten Stamm treffen, diesen ebenfalls infizieren und seine Schädlichkeit verringern. In befallenen Gebieten werden diese hypovirulenten Stämme gezielt ausgebracht, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen und den Bäumen zu ermöglichen, die Infektion zu überleben und abzukapseln.
Die Tintenkrankheit
Die Tintenkrankheit, verursacht durch Phytophthora cinnamomi oder Phytophthora cambivora, ist eine ernstzunehmende Wurzelerkrankung, die vor allem auf schweren, nassen und schlecht belüfteten Böden auftritt. Die Erreger sind sogenannte Oomyceten oder Eipilze, die im Bodenwasser aktive Sporen (Zoospores) bilden, die die Feinwurzeln des Baumes infizieren können. Von dort aus breitet sich die Infektion im gesamten Wurzelsystem und bis in den Stammgrund aus.
Die oberirdischen Symptome ähneln oft denen von Trockenstress, was die Diagnose erschweren kann. Der Baum zeigt ein verringertes Wachstum, kleine, gelbliche Blätter und ein allgemeines Kümmern. Ganze Kronenteile können welken und absterben. Das eindeutigste Anzeichen ist der namensgebende, dunkle, fast schwarze Saftaustritt am Stammfuß, der an Tinte erinnert. Wenn man die Rinde in diesem Bereich entfernt, offenbart sich ein flammenförmig nach oben ziehendes, abgestorbenes, dunkel verfärbtes Gewebe.
Die Bekämpfung der Tintenkrankheit ist äußerst schwierig, sobald der Baum einmal infiziert ist. Der Fokus muss daher vollständig auf der Prävention liegen. Die wichtigste Maßnahme ist die Wahl eines geeigneten Standortes mit ausgezeichneter Drainage. Verdichtete und staunasse Böden müssen unbedingt gemieden oder vor der Pflanzung durch tiefgründige Lockerung und die Einarbeitung von Sand und Kompost verbessert werden. Eine Pflanzung auf einem kleinen Hügel oder Damm kann ebenfalls helfen, den Wurzelhals trocken zu halten.
Beim Kauf von Jungpflanzen sollte auf eine gesunde, kräftige Wurzelentwicklung geachtet werden. Es gibt resistente Hybridunterlagen (oft Kreuzungen mit Castanea crenata oder Castanea mollissima), die eine deutlich höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber Phytophthora aufweisen. Die Verwendung solcher Unterlagen ist die sicherste Methode, um Probleme mit der Tintenkrankheit in gefährdeten Gebieten zu vermeiden. Eine Überwässerung des Baumes muss unter allen Umständen vermieden werden.
Häufige Schädlinge
Im Vergleich zu den Krankheiten sind die Probleme durch Schädlinge bei der Edelkastanie oft weniger gravierend, können aber dennoch zu Schäden an Blättern und Früchten führen. Einer der bekanntesten Schädlinge ist der Kastanienwickler (Cydia splendana), dessen Larven, die „Maronenwürmer“, sich in die reifenden Früchte bohren. Ein Befall ist oft erst nach der Ernte erkennbar, wenn man die Nuss öffnet und die kleine weiße Made samt ihres Kotkrumen findet.
Zur Bekämpfung des Kastanienwicklers ist es wichtig, den Lebenszyklus des Schädlings zu verstehen. Der Falter legt seine Eier im Sommer auf die jungen Fruchthüllen. Nach dem Schlüpfen bohren sich die Larven in die Nuss. Das regelmäßige und zügige Aufsammeln aller Früchte, auch der vorzeitig abgefallenen, ist eine wichtige Maßnahme, um die Population zu reduzieren. Befallene Früchte sollten nicht kompostiert, sondern vernichtet werden. Pheromonfallen können eingesetzt werden, um den Flug der männlichen Falter zu überwachen und den optimalen Zeitpunkt für eine eventuelle Behandlung mit biologischen Insektiziden zu bestimmen.
Ein weiterer Schädling, der in den letzten Jahrzehnten in Europa große Sorgen bereitet, ist die Japanische Esskastaniengallwespe (Dryocosmus kuriphilus). Dieses winzige Insekt legt seine Eier in die Knospen der Kastanie. Im Frühjahr entwickeln sich daraus charakteristische, rundliche Gallen an den Trieben, Blättern oder Blütenständen. Ein starker Befall kann das Wachstum erheblich hemmen und zu massiven Ernteausfällen führen.
Die Bekämpfung der Gallwespe ist schwierig. Das Entfernen und Vernichten der Gallen im Frühjahr kann den Befallsdruck bei einzelnen Bäumen reduzieren, ist aber bei großen Bäumen oder in größeren Beständen kaum praktikabel. Die wirksamste Methode ist die biologische Kontrolle durch die gezielte Freisetzung ihres natürlichen Gegenspielers, der Erzwespe Torymus sinensis. Dieses Nützling hat sich in vielen europäischen Ländern als sehr effektiv erwiesen und konnte die Populationen der Gallwespe erfolgreich eindämmen.
Weitere potenzielle Probleme
Neben den genannten Hauptkrankheiten und -schädlingen gibt es noch weitere Probleme, die gelegentlich auftreten können. Verschiedene Blattlausarten können junge Triebe und Blätter besiedeln, sind aber in der Regel durch natürliche Fressfeinde wie Marienkäfer und Florfliegen gut reguliert. Nur bei sehr starkem Befall an jungen Bäumen kann eine Behandlung mit einem sanften Mittel auf Seifen- oder Ölbasis notwendig sein.
Echter Mehltau kann bei feucht-warmer Witterung als weißlicher, abwischbarer Belag auf den Blättern auftreten. Ein luftiger Standort und ein nicht zu dichter Kronenaufbau, der ein schnelles Abtrocknen der Blätter ermöglicht, sind die besten vorbeugenden Maßnahmen. Ein Befall ist meist nur ein ästhetisches Problem und schädigt den Baum nicht nachhaltig. Bei Bedarf können Spritzungen mit Netzschwefel oder Hausmitteln wie einer Milch-Wasser-Lösung helfen.
Wildverbiss kann vor allem bei jungen Bäumen ein erhebliches Problem darstellen. Rehe und Kaninchen können die Rinde und junge Triebe schädigen, was das Wachstum stark beeinträchtigt und Eintrittspforten für Krankheiten schafft. Ein stabiler Verbissschutz aus Drahtgeflecht oder eine Manschette um den Stamm ist in den ersten Jahren in vielen Gebieten unerlässlich, um den Baum vor diesen Schäden zu schützen.
Schließlich können auch abiotische Faktoren wie Spätfrost, Hagel, Sonnenbrand oder Nährstoffmangel zu Schäden führen. Spätfröste können die jungen Austriebe schädigen, was aber von einem gesunden Baum meist gut kompensiert wird. Ein plötzlicher, starker Hagelschlag kann Blätter und junge Früchte verletzen. Die beste Vorsorge gegen solche Schäden ist die Förderung der allgemeinen Baumvitalität durch einen optimalen Standort und eine gute Pflege, damit der Baum genügend Reserven hat, um solche Stressereignisse zu überstehen.