Die korrekte Überwinterung der Amaryllis ist kein passiver Zustand, sondern ein aktiver und entscheidender Teil ihrer jährlichen Pflege, der oft über den Blüherfolg oder Misserfolg in der kommenden Saison entscheidet. Diese Phase, auch Ruhephase oder Dormanz genannt, simuliert die trockenen und kühleren Bedingungen, denen die Pflanze in ihrer natürlichen Heimat ausgesetzt ist. Ohne diese klar definierte Ruheperiode ist die Zwiebel nicht in der Lage, die hormonellen Signale für die Bildung eines neuen Blütenschaftes zu empfangen. Ein tiefes Verständnis für die Notwendigkeit und die richtige Durchführung dieser Phase ist daher für jeden Amaryllis-Liebhaber unerlässlich.
Die Ruhephase dient nicht nur der Induktion der Blüte, sondern auch der Regeneration und Reifung der Zwiebel. Während dieser Zeit stellt die Pflanze ihr oberirdisches Wachstum vollständig ein und konzentriert ihre Energie im Inneren. Die zuvor während des Sommers in den Blättern produzierte und gespeicherte Energie wird final in der Zwiebel konsolidiert. Dieser Prozess stärkt die Zwiebel und macht sie widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten. Eine Amaryllis, der keine Ruhephase gegönnt wird, wird zwar weiterhin Blätter produzieren, aber die ersehnte, spektakuläre Blüte wird mit großer Wahrscheinlichkeit ausbleiben.
Die Vorbereitung auf die Überwinterung beginnt bereits im Spätsommer. Es ist ein gradueller Prozess, der die Pflanze langsam auf die bevorstehende Ruhe einstimmt. Eine abrupte Veränderung der Bedingungen sollte vermieden werden. Stattdessen werden die Pflege- und Umgebungsbedingungen schrittweise angepasst, um den natürlichen Zyklus so gut wie möglich nachzuahmen. Dieser sanfte Übergang ist entscheidend, damit die Pflanze alle Nährstoffe aus den Blättern zurück in die Zwiebel verlagern kann.
Die Dauer und die Bedingungen der eigentlichen Lagerung während der Ruhephase sind ebenfalls kritische Faktoren. Eine zu kurze oder zu warme Ruheperiode wird den gewünschten Effekt nicht erzielen. Daher ist die Wahl des richtigen Ortes für die Überwinterung von großer Bedeutung. Mit der richtigen Technik und etwas Geduld kann man sicherstellen, dass die Amaryllis jedes Jahr aufs Neue ihre volle Blütenpracht entfaltet und zum leuchtenden Mittelpunkt der winterlichen Fensterbank wird.
Die Vorbereitung auf die Ruhephase
Die Vorbereitung der Amaryllis auf ihre Ruhephase ist ein Prozess, der bereits Ende des Sommers, typischerweise ab Mitte August, eingeleitet werden muss. Der erste und wichtigste Schritt ist die schrittweise Reduzierung der Wassergaben. Anstatt die Pflanze abrupt trocken zu legen, werden die Gießintervalle langsam verlängert. Dies signalisiert der Pflanze, dass die Wachstumsperiode zu Ende geht und sie sich auf eine Trockenzeit vorbereiten muss. Parallel dazu wird auch die Düngung komplett eingestellt, falls dies nicht schon früher geschehen ist.
Durch diese veränderten Bedingungen beginnt die Pflanze, ihr Wachstum einzustellen und die wertvollen Nährstoffe und das Wasser aus den Blättern zurück in die Zwiebel zu transportieren. Dieser Prozess macht sich durch das allmähliche Vergilben und Welken der Blätter bemerkbar. Es ist von entscheidender Bedeutung, diesen natürlichen Vorgang nicht zu unterbrechen, indem man die noch grünen oder gelben Blätter vorzeitig abschneidet. Nur wenn die Blätter vollständig vertrocknet sind, ist sichergestellt, dass alle mobilen Nährstoffe in der Zwiebel eingelagert wurden.
Sobald die Blätter vollständig braun und trocken sind, können sie leicht von der Zwiebel abgedreht oder direkt am Zwiebelhals abgeschnitten werden. Die Pflanze ist nun bereit für die eigentliche Ruhephase. Es gibt zwei gängige Methoden für die Lagerung: Entweder man lässt die Zwiebel im Topf im trockenen Substrat oder man nimmt sie aus der Erde. Das Belassen im Topf ist die einfachere Methode und für die meisten Hobbygärtner ausreichend.
Bevor der Topf an seinen endgültigen Überwinterungsort gebracht wird, sollte das Substrat vollständig ausgetrocknet sein, um Fäulnis während der Lagerung zu vermeiden. Es ist auch ratsam, die Zwiebel und die Erdoberfläche auf eventuelle Schädlinge wie Woll- oder Schmierläuse zu untersuchen und diese gegebenenfalls zu entfernen. Eine saubere, schädlingsfreie Pflanze kommt deutlich besser und gesünder durch die Ruhephase.
Der ideale Überwinterungsort
Die Wahl des richtigen Ortes für die Überwinterung ist entscheidend für den Erfolg der Ruhephase. Die idealen Bedingungen sind kühl, trocken und dunkel. Ein unbeheizter Keller, eine frostfreie Garage, ein kühler Dachboden oder ein ungenutzter, kühler Abstellraum eignen sich hervorragend für diesen Zweck. Die optimale Temperatur während der Lagerung liegt zwischen 5 und 15 Grad Celsius. Temperaturen unter dem Gefrierpunkt sind absolut zu vermeiden, da die Zwiebel erfrieren würde.
Wärmere Temperaturen, beispielsweise in einem normal beheizten Wohnraum, sind für die Ruhephase ungeeignet. Sie würden die Pflanze daran hindern, in die tiefe Dormanz zu fallen, die für die Blüteninduktion notwendig ist. Die Zwiebel würde entweder gar nicht zur Ruhe kommen oder vorzeitig wieder austreiben, ohne die notwendige Reifephase durchlaufen zu haben. Die Dunkelheit ist ebenfalls wichtig, um einen vorzeitigen Austrieb zu unterdrücken.
Die Zwiebel, ob im Topf oder lose gelagert, sollte während der gesamten Ruhephase keinerlei Wasser erhalten. Das Substrat im Topf muss komplett trocken bleiben. Lose gelagerte Zwiebeln, die aus dem Topf genommen wurden, können in einer Kiste mit trockenem Sand, Torf oder in Zeitungspapier eingeschlagen aufbewahrt werden. Diese Methode ermöglicht eine sehr gute Kontrolle der Zwiebel auf Fäulnis, erfordert aber beim Wiedereintopfen etwas mehr Arbeit.
Die Dauer der Ruhephase sollte mindestens acht Wochen betragen, idealerweise jedoch zehn bis zwölf Wochen. Diese Zeitspanne ist notwendig, damit die biochemischen Prozesse in der Zwiebel, die zur Blütenbildung führen, vollständig ablaufen können. Eine zu kurze Ruhephase führt oft dazu, dass die Pflanze im neuen Zyklus nur Blätter, aber keine Blüten bildet. Es kann hilfreich sein, den Topf mit einem Datum zu versehen, um den Überblick über die Dauer der Lagerung zu behalten.
Das Erwecken aus dem Winterschlaf
Nachdem die Amaryllis ihre wohlverdiente Ruhepause von mindestens acht bis zwölf Wochen abgeschlossen hat, ist es Zeit, sie wieder zum Leben zu erwecken. Dieser Prozess sollte idealerweise zwischen November und Januar stattfinden, je nachdem, wann die Blüte erwünscht ist. Die Zwiebel wird aus ihrem kühlen, dunklen Lager geholt und wieder an wärmere und hellere Bedingungen gewöhnt. Dies ist der Startschuss für einen neuen, spektakulären Blühzyklus.
Zunächst wird die Zwiebel inspiziert. Lose, trockene Zwiebelschalen können entfernt werden. Wenn die Zwiebel im Topf überwintert hat, ist dies der ideale Zeitpunkt zum Umtopfen, falls der Topf zu klein geworden ist oder das Substrat ausgelaugt ist. Frisches, gut durchlässiges Substrat gibt der Pflanze einen guten Start in die neue Saison. Alte, vertrocknete Wurzeln können entfernt werden, aber die fleischigen, gesunden Wurzeln sollten geschont werden.
Nach dem Umtopfen oder dem Auffrischen der obersten Erdschicht wird der Topf an einen hellen und warmen Platz gestellt. Eine Temperatur von etwa 20 bis 22 Grad Celsius ist ideal, um den Austrieb zu fördern. Der entscheidende Schritt, um die Ruhephase zu beenden, ist die erste Wassergabe. Die Zwiebel wird einmalig, aber gründlich angegossen, sodass das Substrat gut durchfeuchtet ist. Überschüssiges Wasser im Untersetzer muss unbedingt entfernt werden.
Nach diesem ersten Gießen ist wieder Geduld gefragt. Es wird nun so lange nicht mehr gegossen, bis sich die erste Spitze des neuen Austriebs zeigt. Dies kann einige Tage bis mehrere Wochen dauern. Diese anfängliche Trockenheit regt die Zwiebel dazu an, neue Wurzeln zu bilden. Sobald der Trieb sichtbar ist, wird langsam und regelmäßig mit der Bewässerung begonnen, um das Wachstum des Blütenschaftes zu unterstützen.
Fehler bei der Überwinterung vermeiden
Einer der häufigsten Fehler bei der Überwinterung ist das Auslassen der Ruhephase. Viele unerfahrene Gärtner behandeln die Amaryllis wie eine normale, immergrüne Zimmerpflanze und gießen sie das ganze Jahr über. Dies führt unweigerlich dazu, dass die Blüte im Folgejahr ausbleibt. Die Einhaltung der trockenen, kühlen Ruheperiode ist für die Blüteninduktion absolut zwingend und kann nicht umgangen werden.
Ein weiterer kritischer Fehler ist das vorzeitige Abschneiden der Blätter, solange sie noch grün sind. Die Blätter sind die Kraftwerke der Pflanze, und ihre Nährstoffe sind für die Zwiebel überlebenswichtig. Das Entfernen der grünen Blätter beraubt die Zwiebel ihrer Energiequelle und führt zu einer schwachen oder ausbleibenden Blüte. Man muss unbedingt warten, bis die Blätter von selbst vollständig vergilbt und eingetrocknet sind.
Die Lagerung bei falschen Bedingungen kann ebenfalls zum Misserfolg führen. Eine zu warme Überwinterung verhindert die notwendige Dormanz, während Frost die Zwiebel zerstört. Eine zu feuchte Lagerung, sei es durch verfrühtes Gießen oder eine hohe Luftfeuchtigkeit, führt fast unweigerlich zu Fäulnis. Der gewählte Ort muss daher sorgfältig auf seine Eignung bezüglich Temperatur und Trockenheit geprüft werden.
Schließlich ist auch eine zu kurze Ruhephase ein häufiges Problem. Aus Ungeduld wird die Zwiebel oft schon nach wenigen Wochen wieder „geweckt“. Die biochemischen Prozesse für die Blütenanlage benötigen jedoch ihre Zeit. Eine Ruhezeit von unter acht Wochen ist in der Regel nicht ausreichend. Es lohnt sich, die volle Zeitspanne von zehn bis zwölf Wochen abzuwarten, um die Chancen auf eine prächtige Blüte zu maximieren.