Share

Die pflanzung und vermehrung der weißbeerigen mistel

Linden · 15.09.2025.

Die Pflanzung und Vermehrung der weißbeerigen Mistel ist ein unkonventioneller Prozess, der sich grundlegend von der Aussaat gewöhnlicher Gartenpflanzen unterscheidet. Da die Mistel ein Halbschmarotzer ist, kann sie nicht einfach in Erde gepflanzt werden; sie benötigt einen lebenden Wirtsbaum, um zu überleben. Der erfolgreichste Weg, eine Mistel anzusiedeln, ist die Nachahmung des natürlichen Verbreitungsprozesses durch Vögel. Dies geschieht durch das gezielte Anbringen der klebrigen Samen an geeigneten Ästen potenzieller Wirtsbäume. Der ideale Zeitpunkt für dieses Vorhaben ist der späte Winter oder das sehr frühe Frühjahr, von Februar bis April, wenn die Beeren reif sind und die Bäume noch in der Saftruhe stehen.

Der erste und entscheidende Schritt ist die Auswahl eines geeigneten Wirtsbaumes. Misteln gedeihen am besten auf Weichholz-Laubbäumen wie Apfelbäumen, Pappeln, Linden, Birken, Weiden oder Ahorn. Die Rinde des ausgewählten Astes sollte nicht zu dick und borkig, aber auch nicht zu glatt sein, damit der Samen Halt findet. Ideal sind jüngere Äste in den oberen, sonnigeren Bereichen der Baumkrone mit einem Durchmesser von etwa drei bis zehn Zentimetern. Der Baum selbst sollte gesund und vital sein, um den zukünftigen Parasiten ohne größere Probleme versorgen zu können.

Für die „Pflanzung“ werden reife, weiße Beeren der Mistel benötigt. Diese sollten prall und frisch sein. Die Beere wird vorsichtig zwischen den Fingern zerdrückt, sodass der einzelne Samen von dem klebrigen Fruchtfleisch (Viscin) umgeben freigelegt wird. Dieser klebrige Schleim ist der natürliche „Klebstoff“, der den Samen am Ast des Wirtsbaumes befestigt und ihn gleichzeitig vor dem Austrocknen schützt. Es ist wichtig, diesen Schleim nicht zu entfernen, da er für das Anhaften und die erste Keimphase von entscheidender Bedeutung ist.

Der vorbereitete Same wird nun an der ausgewählten Stelle, vorzugsweise an der Ober- oder Seitenfläche eines Astes, angedrückt. Man kann den Samen auch leicht in eine kleine Rindenritze oder an eine Astgabelung schieben, wo er besser geschützt ist. Es ist ratsam, gleich mehrere Samen an verschiedenen Ästen oder sogar auf mehreren Bäumen zu platzieren, da die Erfolgsquote nicht bei hundert Prozent liegt. Viele Samen fallen ab, trocknen aus oder werden von Vögeln gefressen, bevor sie keimen können. Geduld ist hier der Schlüssel zum Erfolg.

Der keimungsprozess und die erste entwicklungsphase

Nachdem der Samen erfolgreich am Ast platziert wurde, beginnt ein sehr langsamer und für das bloße Auge zunächst unsichtbarer Prozess. Die Keimung erfolgt meist erst im folgenden Frühjahr. Der Samen bildet einen Keimschlauch, der sich in Richtung des Astes bewegt und eine Haftscheibe ausbildet. Aus dieser Haftscheibe wächst dann ein sogenannter Senker (Haustorium) durch die Rinde des Wirtes hindurch, bis er das Leitgewebe des Baumes, das Xylem, erreicht. Dieser Vorgang kann Monate dauern und ist die kritischste Phase der Etablierung.

In den ersten ein bis zwei Jahren nach der Keimung ist oberirdisch kaum ein Wachstum zu erkennen. Die junge Mistelpflanze investiert ihre gesamte Energie in die Ausbildung des Haustoriums im Inneren des Astes, um eine sichere Verbindung zum Wasser- und Nährstoffsystem des Wirtes herzustellen. Erst wenn diese Verbindung stabil ist, beginnt die Mistel, die ersten kleinen, gegenständigen Blätter zu bilden. Es ist also völlig normal, wenn man zwei Jahre lang nichts von seinem Pflanzversuch sieht und man sollte den Ast in dieser Zeit in Ruhe lassen.

Geduld ist die wichtigste Tugend bei der Mistelvermehrung. Der gesamte Prozess von der Anbringung des Samens bis zur Entwicklung einer kleinen, sichtbaren Mistelpflanze mit einigen Blattpaaren kann drei bis fünf Jahre dauern. In dieser Zeit benötigt die junge Pflanze keinerlei Pflege. Jegliches Gießen oder Düngen wäre wirkungslos, da sie ausschließlich vom Saftstrom des Wirtsbaumes lebt. Die einzige sinnvolle Maßnahme ist, den Wirtsbaum selbst gesund und vital zu halten.

Es ist wichtig zu verstehen, dass viele Versuche scheitern werden. Nicht jeder Samen keimt, und nicht jeder Keimling schafft es, erfolgreich in den Wirt einzudringen. Natürliche Abwehrmechanismen des Baumes, ungünstige Wetterbedingungen oder Konkurrenz können den Erfolg verhindern. Daher ist die Strategie, eine größere Anzahl von Samen an verschiedenen Stellen auszubringen, die vielversprechendste. Der Erfolg, wenn er sich einstellt, ist dann eine Belohnung für die lange Wartezeit und das Verständnis für die biologischen Prozesse.

Natürliche verbreitung als vorbild

Um die künstliche Vermehrung zu optimieren, lohnt sich ein Blick auf die natürliche Verbreitung der Mistel. Vögel, insbesondere die Misteldrossel und die Mönchsgrasmücke, sind die Hauptverbreiter. Sie fressen die weißen Beeren und scheiden die unverdaulichen Samen an anderer Stelle wieder aus. Da der Samen immer noch von einer klebrigen Schicht umgeben ist, bleibt er im Gefieder oder am Schnabel haften und wird bei der Gefiederpflege oder beim Wetzen des Schnabels an einem Ast abgestreift. Genau dieser Mechanismus wird bei der manuellen Vermehrung imitiert.

Die Vögel wählen instinktiv geeignete Plätze für die Samenablage aus. Sie bevorzugen exponierte Äste in den Baumkronen, die als Sitzwarten dienen. Diese Orte bieten in der Regel ausreichend Licht für die Photosynthese der zukünftigen Mistelpflanze. Bei der Auswahl der „Pflanzstelle“ sollte man sich daher an diesen natürlichen Gegebenheiten orientieren und nicht die schattigsten und untersten Äste des Baumes wählen. Die Mistel benötigt, obwohl sie ein Halbschmarotzer ist, Licht für ihr eigenes Wachstum.

Die klebrige Substanz der Beere, das Viscin, hat noch eine weitere Funktion. Es schützt den Samen vor Fressfeinden und extremen Witterungsbedingungen. Bei der manuellen Anbringung sollte der Samen daher gut mit diesem Schleim umhüllt bleiben und fest an den Ast gedrückt werden, um eine möglichst große Kontaktfläche zu schaffen. Man kann den Samen nach dem Anbringen auch leicht hin und her reiben, um die Haftung zu verbessern, ähnlich wie es ein Vogel mit seinem Schnabel tun würde.

Die Beobachtung der Natur liefert auch Hinweise auf die besten Wirtsbäume. Indem man in der Umgebung nachsieht, auf welchen Baumarten bereits Misteln wachsen, kann man Rückschlüsse auf die lokal am besten geeigneten Wirte ziehen. Obwohl Misteln auf vielen verschiedenen Laubbäumen wachsen können, gibt es oft lokale Vorlieben, die mit spezifischen Unterarten der Mistel und den vorherrschenden Baumarten zusammenhängen. Die Auswahl eines Baumes, der in der Region bereits als Wirt bekannt ist, erhöht die Erfolgsaussichten erheblich.

Herausforderungen und erfolgsfaktoren

Die größte Herausforderung bei der Mistelvermehrung ist die geringe und stark verzögerte Erfolgsrate. Es erfordert eine erhebliche Portion Geduld und Frustrationstoleranz, mehrere Jahre auf ein sichtbares Ergebnis zu warten, das möglicherweise nie eintritt. Der Schlüssel liegt darin, den Prozess als ein langfristiges Naturexperiment zu betrachten und nicht als eine typische Gartenarbeit mit schnellen Erfolgen. Die Freude über eine erfolgreich gekeimte und wachsende Mistel ist nach der langen Wartezeit dafür umso größer.

Ein weiterer kritischer Faktor ist die Qualität der Samen. Die Beeren sollten von einer gesunden, kräftigen Mistelpflanze stammen und zum optimalen Zeitpunkt geerntet werden, wenn sie voll ausgereift sind. Dies ist in der Regel im späten Winter der Fall. Schrumpelige oder vertrocknete Beeren enthalten oft keinen keimfähigen Samen mehr. Die frischesten Beeren direkt von der Pflanze zu verwenden, bietet die besten Chancen für eine erfolgreiche Keimung und Etablierung.

Die Wahl des richtigen Astes ist ebenfalls entscheidend. Zu junge und dünne Äste können von der wachsenden Mistel überfordert werden und absterben. Zu alte Äste mit dicker, rissiger Borke erschweren dem Keimling das Eindringen in die Rinde. Ein „mittelalter“ Ast mit glatter bis leicht rauer Rinde an einem sonnigen Standort stellt den idealen Kompromiss dar. Die Ausrichtung des Astes spielt ebenfalls eine Rolle; waagerechte oder leicht ansteigende Äste sind oft besser geeignet als senkrecht wachsende.

Schließlich spielt auch der Wirtsbaum selbst eine aktive Rolle. Bäume verfügen über Abwehrmechanismen, um das Eindringen von Parasiten zu verhindern. Ein besonders vitaler Baum kann den Keimling der Mistel abtöten oder abkapseln, bevor dieser sich etablieren kann. Paradoxerweise kann ein leichter Stressfaktor beim Baum (zum Beispiel durch einen trockenen Sommer) manchmal die Erfolgschancen der Mistel erhöhen, da die Abwehrkräfte des Baumes temporär geschwächt sind. Dieses Zusammenspiel ist komplex und nicht vollständig vorhersehbar.

Rechtliche und ethische aspekte

Bevor man beginnt, Misteln im eigenen Garten oder in der freien Landschaft anzusiedeln, sollte man sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren. In einigen Regionen oder Schutzgebieten kann die Verbreitung von Misteln eingeschränkt sein, insbesondere wenn es sich um nicht heimische Unterarten handelt. In Deutschland steht die Mistel zwar nicht unter allgemeinem Naturschutz, das Abschneiden von Mistelzweigen von Bäumen, die einem nicht gehören, ist jedoch ohne Erlaubnis des Eigentümers nicht gestattet.

Aus ethischer Sicht sollte die Ansiedlung von Misteln mit Verantwortung erfolgen. Man sollte sich bewusst sein, dass man eine parasitäre Pflanze in ein bestehendes Ökosystem einbringt. Es ist wichtig, nur geeignete und robuste Bäume als Wirte auszuwählen und deren Gesundheit langfristig im Auge zu behalten. Das unkontrollierte Anbringen von Mistelsamen an geschwächten, alten oder seltenen Bäumen wäre unverantwortlich und könnte erheblichen Schaden anrichten.

Besonders in Obstbaugebieten ist von der Ansiedlung von Misteln dringend abzuraten. Dort gelten Misteln als ernstzunehmender Schädling, der Ernteverluste verursacht und die Lebensdauer der Obstbäume verkürzt. Die Verbreitung von Misteln in solchen Gebieten kann zu Konflikten mit Landwirten und Nachbarn führen. Die Vermehrung sollte sich daher auf Zierbäume in privaten Gärten oder auf geeignete Bäume in der freien Landschaft beschränken, wo sie keinen wirtschaftlichen Schaden anrichten.

Letztendlich ist die Vermehrung der Mistel ein faszinierender Einblick in die komplexen Wechselwirkungen der Natur. Sie lehrt Geduld und Respekt vor den langsamen, aber beständigen Prozessen des Lebens. Wer sich entscheidet, diesen Weg zu gehen, sollte dies mit dem nötigen Wissen, der erforderlichen Geduld und einem tiefen Verantwortungsbewusstsein für den Wirtsbaum tun. Dann kann die erfolgreiche Ansiedlung einer Mistel zu einem einzigartigen und bereichernden Erlebnis für jeden naturverbundenen Gärtner werden.

Das könnte dir auch gefallen