Der regelmäßige Schnitt ist eine der wichtigsten Pflegemaßnahmen für die Passionsblume, um ihre Wuchskraft zu kontrollieren, eine reiche Blüte zu fördern und die Pflanze langfristig gesund und vital zu erhalten. Viele Gärtner scheuen sich zunächst davor, die Schere an der prächtig wachsenden Kletterpflanze anzusetzen, doch diese Sorge ist unbegründet. Passionsblumen sind äußerst schnittverträglich und profitieren enorm von einem gezielten Rückschnitt. Ohne einen Schnitt würden die Pflanzen schnell zu einem undurchdringlichen Gewirr aus alten und neuen Trieben verkahlen, im unteren Bereich kahl werden und in ihrer Blühfreudigkeit nachlassen. Ein gut durchdachtes Schnittkonzept ist daher unerlässlich für jeden Passiflora-Liebhaber.
Der grundlegende Grund für den Schnitt liegt in der Blühbiologie der meisten Passionsblumenarten. Sie bilden ihre Blüten vorwiegend am diesjährigen Holz, das heißt an den Trieben, die in der aktuellen Vegetationsperiode neu gewachsen sind. Ein kräftiger Rückschnitt im zeitigen Frühjahr regt die Pflanze dazu an, zahlreiche neue, kräftige und blühfähige Triebe zu bilden. Würde man die Pflanze nicht schneiden, würde sie ihre Energie in das Längenwachstum der alten Triebe stecken und nur an den äußersten Enden einige neue Seitentriebe mit Blüten bilden. Der Schnitt sorgt also für eine Verjüngung und eine Blütenpracht über die gesamte Pflanze verteilt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Schnitts ist die Kontrolle des oft üppigen Wachstums. Passionsblumen können unter optimalen Bedingungen mehrere Meter pro Jahr wachsen und würden ohne einen Schnitt schnell ihre Rankhilfe sprengen und benachbarte Pflanzen überwuchern. Mit einem regelmäßigen Schnitt kannst du die Größe und Form der Pflanze an die Gegebenheiten deines Balkons, deiner Terrasse oder deines Gartens anpassen. Du bestimmst, wie dicht und in welche Richtung die Pflanze wachsen soll, und sorgst für eine ansprechende, gepflegte Optik.
Darüber hinaus dient der Schnitt auch der Pflanzengesundheit. Indem du alte, kranke, beschädigte oder sich kreuzende Triebe entfernst, lichtest du die Pflanze aus. Dies verbessert die Luftzirkulation im Inneren der Pflanze, sodass die Blätter nach einem Regen schneller abtrocknen können. Eine gute Belüftung ist die beste Vorbeugung gegen Pilzkrankheiten wie Mehltau oder Grauschimmel. Ein sauberer, offener Wuchsaufbau erleichtert zudem die Kontrolle auf Schädlinge und deren Bekämpfung.
Verwende für den Schnitt immer scharfes und sauberes Werkzeug, um glatte Schnittwunden zu erzeugen und die Übertragung von Krankheiten zu vermeiden. Eine gute Bypass-Gartenschere ist für die meisten Triebe ideal. Desinfiziere die Klingen vor dem Gebrauch, insbesondere wenn du zuvor an einer kranken Pflanze gearbeitet hast. Setze den Schnitt immer leicht schräg und etwa einen halben Zentimeter über einem nach außen weisenden Auge oder einer Knospe an. Dies fördert einen Wuchs, der von der Mitte der Pflanze wegführt.
Der Hauptschnitt im zeitigen Frühjahr
Der wichtigste Schnitt des Jahres ist der kräftige Rückschnitt im späten Winter oder zeitigen Frühjahr, in der Regel im Februar oder März, bevor die Pflanze mit dem neuen Austrieb beginnt. Dieser Zeitpunkt ist ideal, da die Pflanze noch in der Winterruhe ist und der Schnitt den Neuaustrieb gezielt anregt. Bei im Haus überwinterten Kübelpflanzen kann dieser Schnitt direkt vor dem Ausräumen oder kurz danach erfolgen. Bei im Freiland überwinterten, winterharten Arten wartest du, bis keine starken Fröste mehr zu erwarten sind.
Bei diesem Hauptschnitt kannst du ruhig mutig sein. Schneide alle Triebe des Vorjahres kräftig zurück. Eine gute Faustregel ist, etwa fünf bis sieben gesunde und kräftige Haupttriebe stehen zu lassen und diese auf eine Länge von 30 bis 50 cm, beziehungsweise auf drei bis fünf Augen (Knospen), einzukürzen. Alle anderen, schwächeren oder schlecht platzierten Triebe kannst du komplett an der Basis entfernen. Dieser radikal erscheinende Schnitt sorgt für einen kraftvollen Neuaustrieb aus den verbliebenen Triebstücken.
Entferne bei dieser Gelegenheit auch alles tote oder kranke Holz, das du im Inneren der Pflanze findest. Abgestorbene Triebe erkennst du daran, dass sie trocken, brüchig und braun sind. Gesunde Triebe sind flexibel und zeigen im Anschnitt grünes Gewebe. Ein solcher Auslichtungsschnitt bringt Licht und Luft ins Innere der Pflanze und schafft Platz für das neue Wachstum.
Nach dem Hauptschnitt ist es wichtig, die Pflanze bei ihrem Neustart zu unterstützen. Sobald die Temperaturen steigen und der Neuaustrieb beginnt, solltest du die Wassergaben langsam steigern. Einige Wochen nach dem Schnitt, wenn die neuen Triebe bereits einige Zentimeter lang sind, kannst du mit der ersten Düngergabe der Saison beginnen. Leite die jungen, wachsenden Triebe gezielt an der Rankhilfe entlang, um von Anfang an eine gute Struktur aufzubauen.
Der Sommerschnitt zur Formgebung und Blütenförderung
Neben dem Hauptschnitt im Frühjahr kann auch ein leichterer Schnitt während des Sommers sinnvoll sein, um die Form zu korrigieren und die Blüte weiter anzuregen. Dieser Sommerschnitt, auch Pinzieren genannt, dient dazu, das Wachstum zu buschiger zu gestalten und die Bildung von blütentragenden Seitentrieben zu fördern. Er kann von Juni bis August durchgeführt werden.
Wenn du feststellst, dass deine Passionsblume sehr lange, einzelne Triebe ohne Blütenansätze bildet, kannst du diese Triebe einfach um etwa ein Drittel einkürzen. Schneide den Trieb direkt über einem Blatt ab. Aus der Blattachsel unterhalb der Schnittstelle wird die Pflanze in der Regel mit zwei neuen Seitentrieben austreiben. An diesen neuen Trieben werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bald Blütenknospen bilden.
Dieser Schnitt eignet sich auch hervorragend, um die Pflanze in Form zu halten und zu verhindern, dass sie zu ausladend wird. Triebe, die in die falsche Richtung wachsen, zu lang werden oder das Gesamtbild stören, können jederzeit während des Sommers eingekürzt werden. Entferne dabei nicht zu viel auf einmal, sondern gehe schrittweise vor, um die Pflanze nicht zu sehr zu stressen.
Ein weiterer Aspekt des Sommerschnitts ist das regelmäßige Ausputzen von Verblühtem. Indem du die verwelkten Blüten entfernst, verhinderst du, dass die Pflanze Energie in die Samen- und Fruchtbildung steckt. Stattdessen wird sie angeregt, kontinuierlich neue Blütenknospen zu produzieren. Dies kann die Blütezeit erheblich verlängern und sorgt für eine stets gepflegt aussehende Pflanze.
Der Schnitt vor der Überwinterung
Ein Rückschnitt im Herbst, bevor die Pflanze ins Winterquartier kommt, ist vor allem bei Kübelpflanzen eine praktische Notwendigkeit. Eine voll ausgewachsene Passionsblume mit meterlangen Trieben lässt sich nur schwer transportieren und findet kaum Platz im Winterquartier. Daher wird die Pflanze vor dem Einräumen so weit zurückgeschnitten, dass sie handlich wird.
Kürze die langen Ranken auf eine Länge von etwa 50 cm oder so weit ein, dass die Pflanze gut in den dafür vorgesehenen Raum passt. Dieser Schnitt muss nicht so präzise sein wie der Hauptschnitt im Frühjahr, da er hauptsächlich praktischen Zwecken dient. Ein Großteil dieser Triebe wird beim Frühjahrsschnitt ohnehin noch weiter eingekürzt.
Das Entfernen eines Großteils der Blattmasse hat zudem den Vorteil, dass die Verdunstung während des Winters reduziert wird, was die Pflege im Winterquartier erleichtert. Außerdem lässt sich eine zurückgeschnittene Pflanze viel besser auf versteckte Schädlinge kontrollieren. Überprüfe die verbliebenen Triebe und Blätter sorgfältig, bevor die Pflanze an ihren Winterplatz umzieht.
Bei winterharten, im Freiland ausgepflanzten Passionsblumen ist ein Herbstschnitt nicht zwingend erforderlich. Hier frieren die oberirdischen Triebe in der Regel sowieso zurück. Du kannst sie über den Winter als natürlichen Schutz stehen lassen und erst im Frühjahr, wenn der Neuaustrieb sichtbar wird, das abgestorbene Material entfernen. Ein leichter Rückschnitt, um lose Triebe zu entfernen, die im Wind peitschen könnten, ist jedoch möglich.
Spezielle Schnitttechniken und Ausnahmen
Obwohl die beschriebenen Schnittmethoden für die meisten gängigen Passionsblumenarten gelten, gibt es einige Ausnahmen. Einige wenige Arten, wie zum Beispiel Passiflora amethystina, blühen auch am mehrjährigen Holz. Bei diesen Arten sollte der Rückschnitt im Frühjahr etwas vorsichtiger ausfallen, um nicht alle blühfähigen Triebe zu entfernen. Hier konzentriert man sich eher auf das Auslichten und das Entfernen von altem, nicht mehr blühfreudigem Holz.
Einige Passionsblumen werden speziell für ihre essbaren Früchte, wie die Maracuja (Passiflora edulis), angebaut. Hier zielt der Schnitt nicht nur auf die Blütenbildung, sondern auch auf die Optimierung des Fruchtertrags ab. Oft werden diese Pflanzen an einem Spalier in einer bestimmten Form, zum Beispiel als Fächer oder Kordon, erzogen. Der Schnitt dient hier dazu, ein starkes Gerüst aus Haupttrieben zu schaffen und die Bildung von kurzen, fruchttragenden Seitentrieben zu fördern. Nach der Ernte werden die abgetragenen Seitentriebe oft stark zurückgeschnitten.
Eine besondere Form des Schnitts ist der Wurzelschnitt. Dieser kann bei älteren Kübelpflanzen notwendig werden, die über viele Jahre im selben Topf stehen und deren Wurzelballen stark verfilzt ist. Beim Umtopfen im Frühjahr kannst du den Wurzelballen an den Seiten und am Boden mit einem scharfen Messer um einige Zentimeter verkleinern. Entferne dabei dicke, alte Wurzeln, um die Bildung von neuen, feinen Faserwurzeln anzuregen. Ein Wurzelschnitt sollte immer mit einem entsprechenden Rückschnitt der oberirdischen Triebe einhergehen, um das Gleichgewicht zwischen Wurzelmasse und Blattmasse wiederherzustellen.
Egal welche Schnitttechnik du anwendest, beobachte immer die Reaktion deiner Pflanze. Jede Pflanze ist ein Individuum und kann unterschiedlich auf den Schnitt reagieren. Lerne, die Signale deiner Passionsblume zu lesen, und passe deine Schnittmaßnahmen entsprechend an. Mit etwas Übung und Erfahrung wirst du schnell ein Gefühl dafür entwickeln, wie du deine Pflanze optimal schneiden musst, um sie in Bestform zu bringen.