Der Lichtbedarf der weißbeerigen Mistel ist ein oft übersehener, aber entscheidender Aspekt ihrer Biologie. Obwohl sie als Halbschmarotzer Wasser und Nährstoffe von ihrem Wirtsbaum bezieht, ist sie für ihre Energiegewinnung auf die eigene Photosynthese angewiesen. Ihre grünen Blätter enthalten Chlorophyll, mit dessen Hilfe sie die Energie des Sonnenlichts in Zucker umwandelt. Daher benötigt die Mistel, wie jede andere grüne Pflanze auch, ausreichend Licht, um zu wachsen, zu gedeihen und Früchte zu bilden. Dieser Bedarf an Sonnenlicht erklärt, warum Misteln überwiegend in den oberen, äußeren und gut besonnten Bereichen der Baumkrone zu finden sind.
Die Platzierung in den oberen Etagen der Baumkrone ist eine strategische Notwendigkeit. Im dichten Inneren einer Baumkrone oder an den unteren, stark beschatteten Ästen wäre die Lichtausbeute zu gering für eine positive Energiebilanz. Die Mistel wäre nicht in der Lage, genügend Energie für ihr Wachstum und ihre Fortpflanzung zu produzieren. Die natürliche Verbreitung durch Vögel, die sich bevorzugt auf exponierten Ästen niederlassen, unterstützt diese Positionierung und sorgt dafür, dass die Samen an Orten mit hoher Lichterwartung landen.
Der Lichtbedarf der Mistel ist jedoch nicht mit dem von sonnenhungrigen Steppenpflanzen zu vergleichen. Sie ist an das Leben im lichten Schatten oder in der wandernden Sonne einer Baumkrone angepasst. Direkte, pralle Mittagssonne, insbesondere in Kombination mit großer Hitze, kann auch für die Mistel Stress bedeuten und zu einer erhöhten Verdunstung führen. Der ideale Standort bietet eine Mischung aus direkter Sonne, vor allem am Vor- und Nachmittag, und Phasen mit gefiltertem Licht durch das Blätterdach des Wirtes.
Bei der künstlichen Ansiedlung von Misteln sollte dieser Faktor unbedingt berücksichtigt werden. Die Auswahl eines Astes an der Süd- oder Westseite des Baumes in der äußeren Kronenperipherie bietet die besten Lichtbedingungen. Versuche, Misteln im tiefen Schatten auf der Nordseite oder im Inneren des Baumes anzusiedeln, sind fast immer zum Scheitern verurteilt. Die Mistel ist somit ein Indikator für die Lichtverhältnisse innerhalb einer Baumkrone.
Die konkurrenz um licht mit dem wirt
Die Beziehung zwischen Mistel und Wirt ist auch ein ständiger Konkurrenzkampf um das Licht. Der Wirtsbaum versucht durch sein Wachstum, seine eigene Krone zu optimieren und eine maximale Lichtausbeute für seine Blätter zu erzielen. Die Mistel, die auf dem Baum wächst, profitiert zunächst von dessen Höhe, die sie über die umgebende Vegetation hebt. Gleichzeitig steht sie aber in direkter Konkurrenz zu den Blättern des Astes, auf dem sie wächst, und den darüber liegenden Ästen.
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Ein starker Mistelbefall kann die Belichtung der darunter liegenden Äste des Wirtsbaumes erheblich reduzieren. Die dichten, immergrünen Büsche der Mistel werfen einen tiefen Schatten. Dies kann dazu führen, dass die Blätter und Triebe des Wirtsbaumes in diesem Schattenbereich verkümmern und der Ast schließlich abstirbt. Die Mistel „erwürgt“ den Ast also nicht direkt, sondern nimmt ihm das lebensnotwendige Licht.
Dieses Phänomen ist ein Grund, warum ein übermäßiger Mistelbefall für den Baum schädlich ist. Er verliert an photosynthetisch aktiver Blattmasse und damit an Produktionskapazität. Ein gezielter Rückschnitt von zu großen oder zu zahlreichen Misteln ist daher auch eine Maßnahme zur Verbesserung der Lichtverhältnisse innerhalb der Baumkrone und zur Förderung der Gesundheit der verbleibenden Äste des Wirtes.
Im Winter kehrt sich die Situation um. Während der laubabwerfende Wirt in der Ruhephase ist, nutzt die immergrüne Mistel das nun ungehindert einfallende Licht für ihre eigene Photosynthese. Dies verschafft ihr einen wichtigen energetischen Vorsprung für den Austrieb im Frühjahr. Sie kann ihre Energiereserven über den Winter auffüllen, während der Baum von seinen im Vorjahr gespeicherten Reserven zehren muss.
Einfluss der wirtspflanze auf die lichtverhältnisse
Die Art des Wirtsbaumes hat einen erheblichen Einfluss auf die Lichtbedingungen, denen die Mistel ausgesetzt ist. Bäume mit einer von Natur aus lichten Krone, wie beispielsweise Birken, Lärchen oder bestimmte Weidenarten, bieten der Mistel ideale Bedingungen. Das Sonnenlicht kann tief in die Krone eindringen, und die Konkurrenz um Licht ist weniger ausgeprägt. Auf solchen Bäumen findet man oft einen besonders vitalen Mistelbewuchs.
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Im Gegensatz dazu schaffen Bäume mit einer sehr dichten, geschlossenen Krone wie die Rotbuche oder die Rosskastanie schwierigere Bedingungen. Hier können sich Misteln nur in den äußersten Randbereichen oder an der Spitze des Baumes etablieren, wo sie genügend Licht erhalten. Das dichte Blätterdach im Sommer lässt kaum Licht ins Innere der Krone, was eine Ansiedlung dort unmöglich macht. Dies ist einer der Gründe, warum man auf Buchen nur sehr selten Misteln findet.
Auch der Schnitt des Wirtsbaumes beeinflusst den Lichtbedarf der Mistel. Ein regelmäßiger Auslichtungsschnitt, wie er bei Obstbäumen üblich ist, verbessert die Lichtverhältnisse in der gesamten Krone. Dies kommt nicht nur dem Baum selbst zugute, indem es die Fruchtqualität verbessert und Pilzkrankheiten vorbeugt, sondern schafft auch bessere Wachstumsbedingungen für eine eventuell vorhandene Mistel.
Man kann also sagen, dass die Mistel von einer guten Baumpflege, die auf eine lichte und gut durchlüftete Krone abzielt, direkt profitiert. Ein verwilderter, dichter und von Totholz geprägter Baum bietet hingegen schlechtere Bedingungen. Die Vitalität der Mistel ist somit nicht nur von der Wasser- und Nährstoffversorgung durch den Wirt abhängig, sondern auch von der Kronenstruktur und dem Lichtmanagement, das der Baum (oder der Gärtner) betreibt.
Standortwahl und langfristige entwicklung
Die Wahl des Standortes für den Wirtsbaum selbst ist die erste und grundlegendste Entscheidung, die auch den zukünftigen Lichtbedarf einer Mistel beeinflusst. Ein Baum, der an einem vollsonnigen, offenen Standort gepflanzt wird, wird eine kräftigere Krone entwickeln und bessere Lichtbedingungen für eine Mistelansiedlung bieten als ein Baum, der im Schatten von Gebäuden oder anderen, größeren Bäumen aufwächst.
Die langfristige Entwicklung der Umgebung muss ebenfalls bedacht werden. Ein junger Baum, der heute noch frei steht, kann in zehn oder zwanzig Jahren von neu gepflanzten Nachbarbäumen überwachsen und beschattet werden. Dies würde die Lichtverhältnisse für den Baum und seine potenziellen Bewohner drastisch verändern. Eine vorausschauende Gartenplanung ist daher auch für die langfristige Perspektive einer Mistelkultur von Bedeutung.
Die Mistel selbst reagiert auf Veränderungen der Lichtverhältnisse. Wächst ein benachbarter Baum und wirft zunehmend Schatten, wird die Mistel in ihrem Wachstum stagnieren und möglicherweise verkümmern. Umgekehrt kann das Entfernen eines beschattenden Baumes dazu führen, dass eine bisher kümmernde Mistel einen neuen Wachstumsschub erfährt. Sie ist also in der Lage, sich in einem gewissen Rahmen an die gegebenen Lichtverhältnisse anzupassen.
Zusammenfassend ist der Lichtbedarf ein zentraler, aktiver Faktor im Leben der weißbeerigen Mistel. Sie ist kein reiner Parasit, sondern eine photosynthetisch aktive Pflanze, die auf das Sonnenlicht angewiesen ist. Ihre Platzierung in der Baumkrone, die Konkurrenz mit dem Wirt und die Struktur der Krone sind allesamt vom Faktor Licht geprägt. Wer eine Mistel im Garten ansiedeln und erhalten möchte, muss daher nicht nur an Wasser und Nährstoffe denken, sondern vor allem auch an eine ausreichende Versorgung mit dem lebensspendenden Licht der Sonne.